Gerade zu Wahlkampfzeiten kursiert immer wieder die Behauptung durch die Medien, die politische Kultur in Deutschland habe abgenommen. Dabei wird der Begriff in erster Linie mit der angeblich geringer werdenden Wahlbeteiligung in Verbindung gebracht. Selbst Journalisten machen vor solchen Behauptungen nicht Halt ohne zu wissen, dass politische Kultur weder ab- noch zunehmen kann. Sie kann sich nur verändern.

Geprägt wurde der Begriff der politischen Kultur durch die beiden Demokratieforscher Sidney Verba und Gabriel Almond. Ihre bahnbrechenden Erkenntnisse konzentrierten sich auf drei Reinformen politischer Kultur:

1. die parochiale Kultur
2. die Untertanenkultur
3. die partizipierende Kultur

Der erste der drei Typen bezieht sich auf all die Menschen, die keinerlei Kenntnisse über das politische System und deren Akteure verfügen. Sie wissen also nicht, dass es ein politisches Machtgefüge gibt und werden demzufolge auch politisch nicht aktiv. Im Gegensatz dazu verfügen die Menschen, die der Untertanenkultur zuzurechnen sind, über diese Kenntnisse, auch wenn sie ebenfalls keine politische Aktivität aufweisen. Auch sie organisieren sich also nicht in Parteien und beteiligen sich nicht an Wahlen. Sie messen ihrer Wählerstimme keine Bedeutung zu und verweigern aus diesem Grund den Gang zur Wahlurne. Ganz anders sieht es hingegen beim letzten der drei Typen aus. Anhänger der partizipierenden Kultur verfügen natürlich auch über rudimentäre Kenntnisse über das politische System, sind aber auch politisch aktiv. Im Gegensatz zur Untertanenkultur messen sie ihrer Stimme ein deutliches Gewicht zu, interessieren sich für das politische Geschehen und werden sogar in Parteien und Gewerkschaften aktiv. Sie wollen was bewegen, was verändern und bekunden durch ihr Handeln politisches Interesse.

Almond und Verba postulieren aber auch, dass die drei zuvor dargestellten Reinformen politischer Kultur selbstverständlich auch Überschneidungen aufweisen. Natürlich passt nicht jeder Mensch haargenau in eine dieser drei Sparten, sodass sich auch jemand durchaus zwischen dem Modell der Untertanenkultur und der partizipierenden Kultur einordnen lässt. Darüber hinaus haben die beiden Wissenschaftler den Begriff der sog. Bürgerkultur eingeführt („Civic Culture“). Dieser Begriff impliziert die Voraussetzung einer passenden politischen Kultur für das Funktionieren einer Demokratie. Gäbe es in Deutschland nur partizipierende Menschen, die sich in politischen Vereinigungen zusammenschließen und regelmäßig Forderungen an das politische System stellen, so würde dies schnell zu einer Überlastung und womöglich zu einem Zusammenbruch des Systems führen. Ebenso nachteilig wäre es, wenn es nur Menschen der Untertanenkultur gäbe, die keinerlei Interesse an Politik haben. Auch dann würde der Fortbestand einer funktionierenden Demokratie mehr als fraglich sein. Deshalb gibt es die Bürgerkultur, ein gesunder Mix aus allen drei Formen politischer Kultur, um die Funktionsfähigkeit eines politischen Systems dauerhaft gewährleisten zu können.

Warum kann politische Kultur nicht abnehmen?

Ganz einfach: wenn der Anteil an einem Typus abnimmt, nimmt er automatisch woanders wieder zu, da jeder Mensch einem dieser drei Typen zugeordnet werden kann (auch wenn es natürlich die eine oder andere Überschneidung gibt). Politische Kultur in Deutschland kann also nicht ab- oder zunehmen, sondern sich lediglich verändern. Was allerdings korrekt ist, ist die Aussage, dass der Anteil der partizipierenden Kultur abnimmt. In Bezug auf die Parteibindung und die Mitgliedschaft in Gewerkschaften wäre diese Aussage sogar richtig. In Bezug auf die Wahlbeteiligung sind hier allerdings Zweifel angebracht. Diese weist keine einheitliche Tendenz auf. Darüber hinaus ist die Wahlbeteiligung hierzulande deutlich höher als in den meisten anderen Demokratien.

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Ein Gedanke zu „Politische Kultur in Deutschland: der Begriff in den Medien“
  1. Politik – die Reality-Show schlechthin!

    Wir werden immer wieder aufgefordert, wählen zu gehen. Das ist auch nicht weiter schlimm. Das erhält, wie oben schon genannt, die Demokratie. Aber das ist natürlich nicht alles.

    Wahlbetrug – egal, auf welche Art und Weise – ist auch noch möglich. Dabei kann man viele Stimmen erhalten, sie durchzählen aber eine falsche Zahl angeben für die Öffentlichkeit. Das wäre nicht das erste Mal in der Geschichte. In Amerika fand das bei der Wiederwahl vom damaligen Präsident Bush statt. Über den gibt es ohnehin vieles zu sagen …

    Wer also wählen geht und seine eigene Stimme schätzt (sei es wegen Wahlbeteiligung oder schon allein wegen dem Recht, wählen zu gehen), sollte unbedingt darauf achten, dass sich hinter den Kulissen mehr tut als vor dem magischen Vorhang. Letztendlich können wir Politikern nicht mehr Vertrauen schenken; sie müssen sich erst mal beweisen, und nicht nur auf Forderungen eingehen. Sie müssen für das Volk arbeiten, und nicht für ihr Image. Sie müssen ihre Versprechen halten anstatt lange Reden zu halten!

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